Interview

Jennifer Simonds-Spellmann

Welche Best Practices konnten Sie bei der Bundesdruckerei im Themenfeld UUX sammeln, und was sind aus Ihrer Sicht aktuell die größten Herausforderungen?

Alles beginnt im öffentlichen Sektor mit der entsprechenden Sensibilisierung: UUX ist im öffentlichen Sektor essenziell – auch wenn wir unseren Bürger*innen nichts verkaufen möchten. Vielmehr bin ich der Ansicht: In einer Welt, die immer stärker digitalisiert wird, haben alle Akteure die klare Verpflichtung zu maximaler Nützlichkeit. Die Frage, ob etwas in der Praxis nützlich ist, entscheidet darüber, ob unser Projekt erfolgreich war. Es reicht nicht länger aus, dass ein System aus technologischer Sicht zu 100 Prozent funktioniert.

Welche Barrieren entstehen durch unsere Aktivitäten?

Jennifer Simonds-Spellmann
Empfehlungen für die Praxis

Bei der Bundesdruckerei bewegen wir uns dabei in einem aus UUX-Perspektive besonders interessanten Spannungsfeld: Wir haben in unserer Behörde ein stark ausgeprägtes Sicherheitsdenken und strenge Geheimhaltungsanforderungen. Der Fokus der jeweiligen Verantwortlichen richtet sich dabei regelmäßig auf kleine, aber sehr wichtige Details. Das UUX Mindset kann uns dabei helfen – trotz dieser komplexen Details - den Gesamtkontext nicht aus dem Blick zu verlieren. Die besten Sicherheitschecks helfen uns recht wenig, wenn es uns nicht gelingt, unsere Benutzer*innen auch auf der emotionalen Ebene abzuholen. Wenn Benutzer*innen trotz eines hohen Maßes an Sicherheit den Eindruck haben, dass das System unsicher ist, gefährdet das unseren gesamten Projekterfolg.

Wir blicken dabei auch sehr grundlegend auf das Themenfeld Barrierefreiheit. Wenn wir das Zusammenspiel zwischen Daten und Digitalisierung betrachten, dann sehen wir, dass bereits die digitale Transformation selbst eine zentrale Barriere darstellt. Für uns stellt sich nicht die Frage: Sind wir barrierefrei? – sondern: Welche Barrieren entstehen durch unsere Aktivitäten? In jedem Use Case müssen wir dabei bestimmte Barrieren überwinden – das betrifft einerseits die klassischen Dimensionen der Barrierefreiheit, aber eben auch die bereits erwähnten Vertrauensbarrieren im Zusammenspiel zwischen Sicherheit und User Experience. Doch auch wenn wir mit komplexen Technologien arbeiten, ist bei uns in den letzten Jahren eine Erkenntnis gereift: Am Ende ist das komplexeste in all unseren Betrachtungen nicht die Technologie, sondern stets der Mensch – und genau aus dieser Komplexität entsteht die Vielzahl an Barrieren.

Am Anfang schauen unsere Mitarbeiter*innen – wenn sie das Buzzword UUX hören – gerne auf die Oberfläche, das User Interface (UI). Doch UUX ist so viel mehr als das UI: Voraussetzung für gute UUX ist, dass wir in unserem interdisziplinären Team zunächst einmal alle benötigten Kompetenzen zusammenbringen. Denn nur so können wir das Problem verstehen: Warum haben wir denn überhaupt Angst, dass unsere Identität geklaut werden könnte? Erst dann können wir uns gemeinsam Schritt für Schritt dem eigentlichen Kern unseres Problems nähern. UUX-Experten und Expertinnen müssen dabei nicht auf alle Fragen eine Antwort haben – sondern für die jeweiligen Experten und Expertinnen den passenden Rahmen schaffen. Unsere UUX Workshops sind wie ein großes Spiel: Alle wollen in einer spannenden Umgebung diskutieren – und untereinander in Interaktion treten. Wir rahmen dabei lediglich die Lösung, sei es mit Service-Blueprints mit Swimlanes, mit Paper Prototyping, Personas – und vielem mehr.

Es geht nicht darum, nach Perfektion zu streben, sondern wir müssen in erster Linie die richtigen Feedback-Loops schaffen – und dabei gleichzeitig so lean wie möglich arbeiten. Und früher oder später verzaubert die positive Überraschung dann das ganze Team: Wir konnten mit unseren Ansätzen unglaublich spannende Erkenntnisse sammeln und verstehen unsere Probleme nun auch im Detail. Wir müssen immer wieder die Entscheidung treffen: Technologie zuerst oder Menschen zuerst. Je bessere, spezifischere Prozesse wir nutzen, umso besser gelingt uns der Fokus auf die Menschen – und umso höher ist dann auch das Tempo bei der Problemlösung.

Meine Vision ist, dass Behörden mithilfe von UUX-Experten und Expertinnen noch stärker nach vorne, in die Zukunft, denken können. Dazu müssen diese auch noch deutlich stärker sichtbar machen, dass der öffentliche Sektor für UUX-Experten und Expertinnen ein spannendes Betätigungsfeld ist – und wir für junge Talente unglaublich viel zu bieten haben. Die öffentliche Verwaltung wird sich durch UUX auch insgesamt positiv wandeln: Es entsteht durch mehr UUX-Experten und Expertinnen gerade ein ganz neuer Enthusiasmus. Wir müssen uns nicht schwer fühlen, das positive UUX-Mindset gibt uns Kraft für die tägliche Arbeit – sofern wir mehr Mut haben, frei zu denken. UUX wurde im öffentlichen Sektor durch die heilige Technologie viel zu lange unterdrückt; doch UUX ist nun endlich auch in Behörden eine Selbstverständlichkeit, und der Stellenwert steigt kontinuierlich!

Foto von Jennifer Simonds-Spellmann

UX Designer Bundesdruckerei-Gruppe, Product Consultant Anderson EyeCare, Produktdesign-Strategist Healy World GmbH, Digital Concepter/Stategist EL PATO Medien GmbH, Senior UX Designer SolarWinds, University of Wales, BA Hons Interaktionen, University of Creative Arts, HND Grafikdesign/Illustration

Jennifer Simonds-Spellmann
UX/UI Designer
Bundesdruckerei Gruppe GmbH

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