Wie kommen Behörden in den nächsten Jahren zu der von Ihnen geforderten einfachen und intuitiven Gestaltung ihrer Online-Infrastrukutur?
Nun, es stellt sich im öffentlichen Sektor ja zunächst stets eine recht grundlegende Frage: Wie können wir unsere Dienstleistungen so gestalten, dass die Menschen diese auch nutzen? Wenn es also beispielsweise beim Kinderzuschlag mehr Berechtigte als Antragssteller*innen gibt, dann muss sich die öffentliche Verwaltung doch fragen: Woran liegt es, dass nicht alle Berechtigten diese Gelder abrufen? Ich beobachte im Moment eine Vielzahl von spannenden Ansätzen, mit denen die Dienstleistungen der öffentlichen Hand bürger*innennäher gestaltet werden können, beispielsweise die vielen von Behörden durchgeführten Hackathons. Diese Ansätze lösen dabei das zentralste der gegenwärtigen Probleme: Sie schaffen die für echte Innovationen zwingend erforderliche Datengrundlage.
Positive Gesamteffekte können entstehen, sobald sich die Verwaltung stärker dafür öffnet, bestimmte Dinge einfach einmal auszuprobieren.
Yannick HaanPositive Gesamteffekte können entstehen, sobald sich die Verwaltung stärker dafür öffnet, bestimmte Dinge einfach einmal auszuprobieren. Sobald die öffentliche Verwaltung ihre eigenen Aktivitäten transparenter macht und entsprechende Strukturen für die Umsetzung schafft, entsteht echter Mehrwert für die Gesellschaft. Das ist beispielsweise auch die größte Herausforderung bei Hackathons: Die Veranstalter*innen dürfen nicht nur die Veranstaltung selbst in den Blick nehmen, sondern müssen auch den weiteren Umsetzungsprozess adressieren und unterstützen. Jede Verwaltungsmitarbeiterin und jeder Verwaltungsmitarbeiter muss sich hier einbringen und die erforderlichen Schritte gehen – und braucht gleichzeitig die erforderliche politische Unterstützung, um auch zwangsläufig entstehende Konflikte eingehen zu können. Dem häufig bemängelten Fehlervermeidungsdenken muss wirkungsvoll begegnet werden.
Eine menschzentrierte Gestaltung erfordert zeitliche Freiräume, entsprechende Budgets und den klaren politischen Willen. Die Experten und Expertinnen aus der Verwaltungspraxis müssen diejenigen mit neuen, vielversprechenden Ideen an die Hand nehmen und bei der Umsetzung begleiten. Gleichzeitig sollte die öffentliche Verwaltung die entsprechenden Kapazitäten schaffen, um sich mit den unterschiedlichsten Bereichen austauschen und dabei über den eigenen Tellerrand blicken zu können. Der gesamte Prozess ist für den öffentlichen Sektor eine große Chance – und führt am Ende zu größeren Freiheiten für jeden einzelnen Mitarbeiter und jede einzelne Mitarbeiterin. In jeder politischen Veränderung liegt dabei die Chance zu neuen Ideen und Lösungsansätzen und gleichzeitig die Gefahr von Abwehrhaltungen aufgrund von prognostizierter Zusatzarbeit. Positiven Beispielen wie Tech4Germany und Work4Germany muss es daher gelingen, diesen strukturellen Problemen und individuellen Befürchtungen zu begegnen. Für die Beschäftigen muss klar werden: Innovation ist nicht nur Arbeit – und Veränderung ist nicht nur nervig. Das Public Service Design ist aus meiner Sicht dabei insbesondere für Kommunen ein guter Ansatz, da diese in regem und direktem Kontakt zu den Bürgern und Bürgerinnen stehen. In Ministerien liegt der Fokus hingegen stärker auf politischen Projekten, wie beispielsweise dem Abbau von Hierarchien und Bürokratie.
Meine Vision ist, dass es uns endlich gelingt, die IT-Systeme in der öffentlichen Verwaltung stärker zu zentralisieren. Es ergeben sich hier massive Einsparungen, wenn wir auf gleiche Fragen und wiederkehrende Bedarfe nicht immer wieder nach neuen Lösungen suchen. Die stark dezentralen IT-Strukturen machen den Betrieb von IT-Systemen – und damit auch eine konsequente Fokussierung auf User Experience und Service Design – unnötig schwierig. Denn bereits, wenn Länder und Kommunen das für sie passende System aus einem Katalog wählen könnten – ohne es selbst konfigurieren und betreiben zu müssen – wäre in der Praxis schon viel gewonnen.
Yannick Haan arbeitet beim iRightsLab im Bereich Forschung und Projekte. Er engagiert sich seit mehreren Jahren politisch im Bereich Digitalpolitik. Er ist unter anderem Mitglied in der Netz- und Medienpolitischen Kommission beim SPD Parteivorstand.
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