Interview

Carsten Lilie

Wie profitieren sowohl Fachabteilungen als auch Benutzer*innen behördlicher Fachanwendungen von der regelmäßigen Begutachtung der Softwareergonomie?

Bei uns in Berlin ist es auf das kontinuierliche Engagement des Hauptpersonalrats (HPR) zurückzuführen, dass die seitens der Senatsverwaltungen eingesetzten Fachanwendungen bezüglich der Softwareergonomie begutachtet werden. Der HPR ist gemäß unseres E-Government-Gesetzes stets zu involvieren, wenn die Software in mehr als einer Senatsverwaltung zum Einsatz kommen soll. Da wir inzwischen über mehrere Jahre hinweg die praktischen Auswirkungen dieser Begutachtungen beobachten können, hat sich für uns gezeigt: Eine Begutachtung der Softwareergonomie dient der Qualitätssicherung der von uns eingesetzten Software. Von diesem Mehrwert sind auch unsere Fachabteilungen inzwischen so überzeugt, dass wir diese Praxis auch dann weiter fortführen würden, wenn sie seitens des HPR nicht länger obligatorisch wäre. Denn diese Vorgehensweise hat für die in den Bezirken tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bereits zu großen Erleichterungen im Arbeitsalltag geführt – und genau das ist ja das zentrale Ziel unserer elektronischen Fachverfahren.

Eine Begutachtung der Softwareergonomie dient der Qualitätssicherung der von uns eingesetzten Software.

Carsten Lilie
Empfehlungen für die Praxis

Es ist unsere gemeinsame Verantwortung, die kontinuierliche Verbesserung der Fachanwendungen Stück für Stück voranzutreiben. Besonders essenziell ist für uns, dass Gutachten nicht nur den Status quo evaluieren, sondern den Softwaredienstleistern und unseren Fachabteilungen konkrete Ansätze für eine Verbesserung der Softwareergonomie liefern – und gleichzeitig mithilfe passender Methoden einen guten Einblick in die praktische Nutzung der Fachanwendungen liefern können. Wir stellen diese Gutachten unseren Dienstleistern zur Verfügung, damit diese auf Grundlage der Gutachten die entsprechenden Maßnahmen ergreifen können. Kleinere Aspekte lassen sich unmittelbar realisieren, für die weitere Umsetzung der Erkenntnisse vereinbaren wir einen komplexeren Überarbeitungsprozess. Dabei kommt es jedoch leider auch vor, dass teurere Maßnahmen aus Kostengründen nicht sofort realisiert werden können.

In der Zusammenarbeit mit größeren Softwareherstellern ergeben sich durch die Gutachten gute Synergien: Diese haben ein besonders hohes eigenes Interesse an der Verbesserung der softwareergonomischen Aspekte ihrer Fachanwendungen – und auch die finanziellen Möglichkeiten für die dafür erforderlichen Schritte. Denn die Berliner Praxis ist bisher noch kein Standard in den deutschen Landesbehörden und Kommunen. Insbesondere bei gemeinsam mit anderen Bundesländern genutzter Software erleben wir regelmäßig, dass die Verbesserung der Softwareergonomie vielerorts aktuell noch keine Rolle spielt. Die anderen Kundinnen der Software profitieren stark von unseren Initiativen und Aktivitäten – ohne sich an den dafür erforderlichen Investitionen beteiligen zu müssen. Ein Weg kann sein, die Hersteller stärker ins Boot zu holen – und parallel zur Barrierefreiheit auch im Bereich der Softwareergonomie in den Ausschreibungen klarere Anforderungen zu definieren. Nach unserer Wahrnehmung ist die Ausschreibung einer barrierefreien Software dabei für uns in der Praxis im Moment noch erheblich leichter als die Ausschreibung einer softwareergonomischen Software: Bei der Barrierefreiheit gibt es einerseits mit der BITV die entsprechende gesetzliche Grundlage und andererseits durch die DIN EN 301 549 eine entsprechende Heuristik.

Doch gleichzeitig haben wir als größte deutsche Kommune einen gewissen Stellenwert für die Anbieter von kommunaler Software, den wir für kontinuierliche Fortschritte im Bereich der Softwareergonomie nutzen können und wollen. Sowohl aufgrund unserer Größe als auch aufgrund unserer strengen Standards hat der Einsatz einer bestimmten Software im Land Berlin bereits eine große Signalwirkung sowohl für andere Großstädte als auch für kleinere Städte und Gemeinden. Denn es gibt in Deutschland einen großen Markt für kommunale Software; wir können hier bei den meisten Fachverfahren immer zwischen mehreren Alternativen wählen. Meine Vision ist, dass sich unsere Standards sukzessive auch in den anderen Bundesländern etablieren und eine Entwicklung von nicht an den Grundsätzen der Softwareergonomie ausgerichteter Software für die Softwarehersteller damit zunehmend an Attraktivität verliert. Jeder Softwarehersteller ist daran interessiert, seine Software in Berlin zum Einsatz zu bringen. Das Land Berlin wiederum ist daran interessiert, seinen Mitarbeiter*innen in Bezug auf Softwareergonomie und Barrierefreiheit stets die bestmögliche Lösung zur Verfügung zu stellen.

Foto von Carsten Lilie

Carsten Lilie ist seit mehr als 10 Jahren mit Geschäftsprozessmanagement, der Einführung von Fachverfahren und dem E-Government in den für Stadtentwicklung Umwelt und Verkehr verantwortlichen Berliner Senatsverwaltungen beschäftigt.

Carsten Lilie
Leiter IT-Verfahrensbetreuung und E-Government
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen, Berlin

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