Welche Methoden und Prinzipien des Experience Designs konnten Sie in Ihrem Experience Center und in Ihren Stadtlaboren bisher besonders erfolgreich in der Praxis einsetzen?
Ich persönlich beobachte im öffentlichen Sektor eine gewisse Schwerfälligkeit im Themenfeld Usability und User Experience (UUX). Die ersten Aktivitäten im Bereich der digitalen Transformation gab es in der öffentlichen Verwaltung ja bereits 2005. Das Projekt BundOnline setzte bereits damals Methoden der agilen Softwareentwicklung ein, hatte aber mit den historisch gewachsenen Strukturen und Denkweisen zu kämpfen. Das ist aus meiner Sicht auch heute die größte Herausforderung: Nicht vorhandene Grundvoraussetzungen machen Fortschritte im Themenfeld UUX sehr schwierig. Die IT der vielen Geschwindigkeiten zeigt sich in vielen Bereichen: Bei der IT-Konsolidierung des Bundes, in den Verfahren der Landesrechenzentren, bei der praktischen Umsetzung der Strategie zu den Netzen des Bundes sowie bei der Strategie für eine nahtlose Bundes-Cloud.
Es gibt stets viele gute Gründe, warum eine bestimmte Lösung in dem einen Bundesland funktioniert – und in dem anderen nicht.
Prof. Dr. Rainer BernnatDas Dilemma ist nach meiner Wahrnehmung: In der Legislative gibt es zu wenig Expertise, und die Exekutive traut sich bisher nicht, die Probleme entschlossen genug anzugehen. Dadurch entstehen häufig unrealistische Erwartungen an den Zeithorizont der entsprechenden Maßnahmen. Nur als Beispiel: Die Sparkassen und die Genossenschaftsbanken haben 15 Jahre für die Harmonisierung gebraucht, um am Ende die vielen einzelnen Rechenzentren auf ein einziges reduzieren zu können. Zur Wahrheit gehört jedoch auch: Wir führen im öffentlichen Sektor bereits erfolgreich agile Verfahren durch. Letztendlich kombinieren wir aufgrund der Komplexität des Beschaffungsprozesses die klassischen Ansätze mit der agilen Herangehensweise. Agile Entwicklung entbindet uns dabei nicht von planerischen Tätigkeiten, zumal der Plan Grundlage für die haushälterische Abrechnung ist. Die einzelnen Phasen werden hingegen von uns nach den Prinzipien der agilen Softwareentwicklung durchgeführt – dadurch können wir die Bedürfnisse der Benutzer*innen bereits frühzeitig in unseren Entwicklungsprozess einbinden.
Meine Vision für die Zukunft ist, dass wir – wenn wir die Abhängigkeit von US-amerikanischen Hyperscalern reduzieren wollen – ausreichend Zeit für die Entwicklung eines Open Source Stacks für die Bundesverwaltung einplanen. Dabei müssen sowohl der zeitliche Druck als auch die für Digitalisierung bereitgestellten Budgets aufrechterhalten werden, um gute Mitarbeiter*innen für den öffentlichen Sektor gewinnen und langfristig halten zu können. Zudem sollten sowohl eine bessere UUX-Expertise in der Legislative als auch ein Bundesministerium für Digitales die digitale Transformation des öffentlichen Sektors flankieren.
Der promovierte Betriebswirt Rainer Bernnat hat über 30 Jahre Erfahrung bei Transformationsprogrammen im öffentlichen Sektor. Seine funktionale Expertise im Umfeld von IT-Dienstleistern aus dem öffentlich-rechtlichen und privatwirtschaftlichen Umfeld bringt er in dem Lehrstuhl für Systems und Information Management ein.
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