Interview

Prof. Dr. Rainer Bernnat

Welche Methoden und Prinzipien des Experience Designs konnten Sie in Ihrem Experience Center und in Ihren Stadtlaboren bisher besonders erfolgreich in der Praxis einsetzen?

Ich persönlich beobachte im öffentlichen Sektor eine gewisse Schwerfälligkeit im Themenfeld Usability und User Experience (UUX). Die ersten Aktivitäten im Bereich der digitalen Transformation gab es in der öffentlichen Verwaltung ja bereits 2005. Das Projekt BundOnline setzte bereits damals Methoden der agilen Softwareentwicklung ein, hatte aber mit den historisch gewachsenen Strukturen und Denkweisen zu kämpfen. Das ist aus meiner Sicht auch heute die größte Herausforderung: Nicht vorhandene Grundvoraussetzungen machen Fortschritte im Themenfeld UUX sehr schwierig. Die IT der vielen Geschwindigkeiten zeigt sich in vielen Bereichen: Bei der IT-Konsolidierung des Bundes, in den Verfahren der Landesrechenzentren, bei der praktischen Umsetzung der Strategie zu den Netzen des Bundes sowie bei der Strategie für eine nahtlose Bundes-Cloud.

Es gibt stets viele gute Gründe, warum eine bestimmte Lösung in dem einen Bundesland funktioniert – und in dem anderen nicht.

Prof. Dr. Rainer Bernnat
Empfehlungen für die Praxis

Viele neue UUX-Konzepte lassen sich in Digitalisierungslaboren relativ gut veranschaulichen; ein wichtiger Erfolgsfaktor für unsere Digitalisierungslabore ist dabei, dass wir unsere Labore mobil dorthin bringen, wo die Bürger*innen sind. Dadurch werden diese Konzepte und Ansätze in der Öffentlichkeit sichtbar und der Dialog mit Bürger*innen wird gefördert; dennoch liegt die größte Herausforderung auch bei uns in der praktischen Umsetzung. Es gibt stets viele gute Gründe, warum eine bestimmte Lösung in dem einen Bundesland funktioniert – und in dem anderen nicht. Aus meiner Wahrnehmung wird die angestrebte Vereinheitlichung nicht so stattfinden, wie es sich die Politik aktuell erhofft. Beispielsweise für die im Moment stattfindenden OZG-Umsetzung sind Infrastruktur, sichere Netze, Cloud-Infrastruktur und Registermodernisierung die Grundlagen. Bis Ende 2022 lassen sich einzelne digitale Dienstleistungen zunächst umsetzen – jedoch keinesfalls abschließen. Denn im Moment laufen ja weitere Projekte an – wie beispielsweise die eAkte –, die dann unweigerlich auch eine erneute, grundlegende Überarbeitung der bereits umgesetzten OZG-Dienstleistungen erforderlich machen.

Das Dilemma ist nach meiner Wahrnehmung: In der Legislative gibt es zu wenig Expertise, und die Exekutive traut sich bisher nicht, die Probleme entschlossen genug anzugehen. Dadurch entstehen häufig unrealistische Erwartungen an den Zeithorizont der entsprechenden Maßnahmen. Nur als Beispiel: Die Sparkassen und die Genossenschaftsbanken haben 15 Jahre für die Harmonisierung gebraucht, um am Ende die vielen einzelnen Rechenzentren auf ein einziges reduzieren zu können. Zur Wahrheit gehört jedoch auch: Wir führen im öffentlichen Sektor bereits erfolgreich agile Verfahren durch. Letztendlich kombinieren wir aufgrund der Komplexität des Beschaffungsprozesses die klassischen Ansätze mit der agilen Herangehensweise. Agile Entwicklung entbindet uns dabei nicht von planerischen Tätigkeiten, zumal der Plan Grundlage für die haushälterische Abrechnung ist. Die einzelnen Phasen werden hingegen von uns nach den Prinzipien der agilen Softwareentwicklung durchgeführt – dadurch können wir die Bedürfnisse der Benutzer*innen bereits frühzeitig in unseren Entwicklungsprozess einbinden.

Meine Vision für die Zukunft ist, dass wir – wenn wir die Abhängigkeit von US-amerikanischen Hyperscalern reduzieren wollen – ausreichend Zeit für die Entwicklung eines Open Source Stacks für die Bundesverwaltung einplanen. Dabei müssen sowohl der zeitliche Druck als auch die für Digitalisierung bereitgestellten Budgets aufrechterhalten werden, um gute Mitarbeiter*innen für den öffentlichen Sektor gewinnen und langfristig halten zu können. Zudem sollten sowohl eine bessere UUX-Expertise in der Legislative als auch ein Bundesministerium für Digitales die digitale Transformation des öffentlichen Sektors flankieren.

Foto von Prof. Dr. Rainer Bernnat

Der promovierte Betriebswirt Rainer Bernnat hat über 30 Jahre Erfahrung bei Transformationsprogrammen im öffentlichen Sektor. Seine funktionale Expertise im Umfeld von IT-Dienstleistern aus dem öffentlich-rechtlichen und privatwirtschaftlichen Umfeld bringt er in dem Lehrstuhl für Systems und Information Management ein.

Prof. Dr. Rainer Bernnat
Geschäftsführer / Partner
PwC Strategy& (Germany) GmbH

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