Interview

Janette Seiz

Wie gelingt es der öffentlichen Verwaltung, die Webangebote unter Verwendung von agilen Methoden flexibel an den Bedürfnissen Ihrer Benutzer*innen auszurichten?

Ihre Frage beinhaltet bereits einen sehr zentralen Aspekt: Bei einem kommunalen Webangebot geht es darum, dass wir als öffentliche Verwaltung bei den Bedürfnissen unserer Bürger*innen ansetzen. Dem Ziel, dass Bürger*innen die benötigten Informationen schnell finden sollen, müssen wir die weiteren Aspekte unseres Webangebots unterordnen – die Informationsarchitektur, die Navigation und das Design. Diese Bedürfnisse können mithilfe von UUX-Methoden dabei auf ganz unterschiedliche Weise Eingang in unseren Verwaltungsalltag finden – wir haben uns bei unserem Projekt für Personas entschieden: Gemeinsam mit einer Agentur haben wir uns dazu mit den verschiedenen Zielgruppen beschäftigt und unser Informationsangebot aus deren Blickwinkel analysiert.

Gute UUX ist in der öffentlichen Verwaltung das Ergebnis einer qualitativ hochwertigen Ausschreibung.

Janette Seiz
Empfehlungen für die Praxis

Die Analyse hat uns dabei geholfen, bereits bei der Konzeption erste Änderungen anzustoßen – denn sobald wir uns mit den einzelnen Personas intensiv auseinandergesetzt haben, ergaben sich daraus beispielsweise direkt erste Änderungsbedarfe für unsere Informationsarchitektur. Sobald erste Prototypen unseres neuen Webangebots fertig gestellt waren, haben wir diese dann mit ungefähr 20 Menschen aus dem Raum Stuttgart getestet – auch hier haben wir darauf geachtet, dass durch die Auswahl der einzubindenden Bürger*innen alle Personas berücksichtigt werden. Für diese Usability-Tests haben wir konkrete Aufgaben entwickelt, die die unterschiedlichen Kernfunktionalitäten unseres Webangebots umfassten.

Allein durch einen erfolgreichen Relaunch unseres Webangebots hat sich die Einbeziehung der Bedürfnisse unserer Bürger*innen für uns noch lange nicht erledigt: Denn als Kommune müssen wir unser modernes Webangebot nun laufenden Anpassungen unterziehen. Die Online-Welt dreht sich immer schneller, die Kommunen müssen hier mithilfe von agilen internen Prozessen am Ball bleiben. Dazu muss neben der kontinuierlichen technischen Weiterentwicklung auch eine Verstetigung unseres Testkonzepts sichergestellt werden. Kommunen benötigen ausreichend finanzielle und personelle Kapazitäten, um neue technologische Entwicklungen, wie beispielsweise Künstliche Intelligenz und Chats, genau verfolgen zu können und bei Bedarf an den kommunalen Kontext adaptieren zu können.

Die konkrete Ausgestaltung öffentlicher Vergabeverfahren macht es für uns Kommunen nicht ganz so leicht, diesen klaren Fokus auf Usability und User Experience bei der Vergabe zu berücksichtigen. Wenn Kommunen die Bedürfnisse der Bürger*innen bestmöglich erfüllen wollen, dann sollten sie viel Aufwand und Energie in eine gute Ausschreibung investieren. Wir haben uns hier bei der in diesem Projekt erforderlichen europaweiten Ausschreibung durch einen externen Dienstleister unterstützen lassen, um unsere Qualitätserwartungen durch eine feingliedrige Definition von Usability- und User Experience-Kriterien abzubilden. Die Webseite ist ein zentrales Aushängeschild unserer Stadt, das auch weit über Stuttgart hinaus Strahlkraft entfalten kann; daher muss auch die Verwaltungsspitze frühzeitig und engmaschig eingebunden werden. Für unser Projekt war es von Vorteil, dass wir von der Verwaltungsspitze für unseren Ansatz von Anfang an breite Unterstützung erhalten haben.

Meine Vision ist, dass sowohl für unsere eigene Kommune als auch für andere Kommunen durch derartige Best-Practice-Beispiele der praktische Mehrwert von UUX noch besser deutlich wird. Um es noch einmal auf den Punkt zu bringen: Gute UUX ist in der öffentlichen Verwaltung das Ergebnis einer qualitativ hochwertigen Ausschreibung. Es gibt zwar leider keine Garantie, dass die Agentur mit der höchsten UUX-Reife gewinnt, aber mit der Einbindung von UUX-Experten und Expertinnen im Rahmen der Ausschreibung lassen sich zumindest die Chancen dafür signifikant steigern. Zudem empfehlen wir, die Ausschreibung in zwei Teile zu untergliedern: Die technische Realisierung sollte getrennt von UUX und Design erfolgen: Einige Agenturen sind sehr versiert in der technischen Umsetzung und der Berücksichtigung der vielfältigen Rahmenbedingungen des öffentlichen Sektors, während andere Agenturen ihre Stärken eher im Themenfeld UUX und Design haben. Nach unseren bisherigen Erfahrungen lohnt sich der für zwei separate Ausschreibugen und die anschließende, nahtlose Verzahnung der beiden Dienstleister erforderliche Zusatzaufwand. Nun kommt es vor allem darauf an, dass der öffentliche Sektor im Rahmen von Corona hoffentlich gelernt hat, dass er in seinen Post-Corona-Haushalten trotz aller Sparzwänge nicht an den Investitionen in die Digitalisierung sparen darf – sondern das bisherige Engagement sogar noch signifikant ausweiten muss.

Foto von Janette Seiz

Vor ihrer Tätigkeit bei der Landeshauptstadt Stuttgart war Janette Seiz im Bereich Kommunikation, PR und Marketing in Agenturen und Unternehmen beschäftigt. Dabei hat die Online-Kommunikation einen immer zentraleren Bereich in ihrem Aufgabenfeld eingenommen.

Janette Seiz
Sachgebietsleiterin Online-Redaktion
Landeshauptstadt Stuttgart

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