Sieben Fragen zu menschzentrierter Digitalisierung

Carola Heilemann-Jeschke

Anhand welcher Aktivitäten wird besonders gut deutlich, dass die Menschzentrierung von digitalen Services in Ihrem Bundesland immer wichtiger wird?

In Bremen führen wir in allen OZG-Themenfeld-Digitalisierungsprojekten Interviews der Benutzer*innen, Entwicklung von Personas und Benutzer*innenreisen sowie das Benutzer*innentesting von Konzepten (z.B. Clickdummies) und fertigen Services durch, um unsere Services kontinuierlich weiterzuentwickeln. Die Anforderung, Services menschenzentriert zu entwickeln, ergibt sich dabei nicht nur aus den Förderbedingungen des OZG-Programms. Bereits vor Beginn des OZG-Programms – und bevor sich Standards für die Menschzentrierung auf der föderalen Ebene herausgebildet haben – hat Bremen UUX-Ansätze bewusst eingesetzt, beispielsweise bei der Entwicklung des Services ELFE. Dadurch wurde sichergestellt, dass die neuen Onlinedienste einen echten Mehrwert für die Bürger*innen darstellen.

Eine umfassende, menschenzentrierte Transformation dieser Leistungen müsste bei (...) Gesetzgebung und Vollzug der Leistung beginnen.

Carola Heilemann-Jeschke

Welche Voraussetzungen sind in den öffentlichen Verwaltungen erforderlich, damit die Bedürfnisse der Bürger*innen und der Verwaltungsmitarbeiter*innen bei der Entwicklung von digitalen Services noch besser berücksichtigt werden können?

Bei der Erfüllung der Bedürfnisse der Bürger*innen geht es primär um eine gute Erschließbar- und Bedienbarkeit, eine intuitive und simple Handhabung, allgemeine Gebrauchstauglichkeit sowie eine technisch standardisierte Unterstützung gängiger Geräte und Systeme. Zudem ist darauf zu achten, dass sich die Hürden als so gering wie möglich darstellen, beispielsweise bei dem Einsatz von Authentifizierungsfunktionen. Bei der Erfüllung der Bedürfnisse der Verwaltungsmitarbeiter*innen geht es neben den bereits erwähnten Aspekten zudem auch um Einbindung in den Bearbeitungskontext und die eingesetzten Fachverfahren. Ziel ist es daher, dass möglichst keine parallelen Strukturen und Systeme entstehen. Im Idealfall können wir überall Single sign-on Lösungen anbieten.

In welchen Bereichen und Themenfeldern ist eine menschzentrierte digitale Transformation im öffentlichen Sektor aktuell noch nicht in der Form möglich wie Sie sich das wünschen würden?

Insbesondere im Bereich der Sozialleistungen (Arbeitslosengeld, Wohngeld, Unterhaltsvorschuss, Kinderzuschlag, etc.) ist die Vielzahl der Leistungen für Menschen, die auf staatliche Unterstützung angewiesen sind, unübersichtlich und nicht bürger*innenfreundlich. Die Leistungen werden von verschiedenen Behörden auf Grundlage unterschiedlicher Gesetze vollzogen. Eine umfassende, menschenzentrierte Transformation dieser Leistungen müsste bei grundsätzlicheren Fragen als dem Design digitaler Interfaces, nämlich bei Gesetzgebung und Vollzug der Leistung beginnen. Für solche laborgestützten Gesetzgebungsprozesse gibt es bereits erste Initiativen im OZG-Kontext. Grundsätzlich tut sich die Verwaltung aber immer noch schwer, die Erfahrung und das Feedback von Bürger*innen mit in den Gesetzgebungsprozess zu integrieren.

In welche Themenfelder sollten die Kommunen die 3 Milliarden für die Digitalisierung aus Ihrer Sicht vorrangig investieren?

Die Investition sollte vorrangig im Bereich der digitalen Infrastruktur zum Betrieb grundlegender Kommunikationsservices (beispielsweise für Video-Calls, Terminservices, Onlineberatung, etc.) erfolgen. Zudem sollte damit der Anschluss der Fachverfahren an die Einer für alle-Dienste der Länder finanziert werden.

Wie verändern sich durch den Wechsel von vor Ort installierten Softwarelösungen zu Clouddienstleistungen die Anforderungen an das Themenfeld Usability, User Experience und Barrierefreiheit?

Aus der OZG-Brille heraus gesprochen: Die OZG Umsetzung wäre nicht möglich, sofern es nur On-Premise-Softwarelösungen geben würde. Erst die Verfügbarkeit von Cloud-Services ermöglicht die Umsetzung nach dem OZG Prinzip Einer für Alle. Die Themen „Usability, User Experience und Barrierefreiheit“ stehen durch diesen Ansatz zunehmen im Fokus und finden höchste Beachtung.

Was sind - Stand heute - in den öffentlichen Verwaltungen Ihres Bundeslandes die wichtigsten Einsatzbereiche für UUX Expert*innen?

UUX Expert*innen wirken im öffentlichen Sektor aktuell sowohl nach außen als auch nach innen. Nach außen leisten sie einen Beitrag zur Darstellung komplexer Informations- und Wissensbereiche in ansprechender Form sowie zur nachvollziehbaren und klaren Darstellung von Entscheidungs- und Verwaltungsprozessen. Zudem sind sie in die Entwicklung von Onlinediensten und -anwendungen mit interaktiven Elementen involviert. Innerhalb der einzelnen Behörden sind sie hingegen an der Ausgestaltung der Fachverfahren mit grafischen Oberflächen beteiligt.

Was ist Ihre persönliche Vision für die Öffentliche Verwaltung 2030?

Bremen ist eine liebenswerte Smart-City, welche die Bedürfnisse der Bürger*innen antizipiert und möglichst automatisch und proaktiv bearbeitet. In Bremen ist der Sozialstaat und der marktwirtschaftliche Ordnungsstaat bürokratisch unsichtbar und wirkt durch freundliche Beratung und direkte Leistung. Die „öffentliche Verwaltung 2030“ ist zudem eine Lockdown- und Klima resiliente Verwaltung: Die Binnenverwaltung agiert flexibel und ist im Zweifel nicht mehr auf Büroräume für 100 % der Beschäftigten angewiesen. Dies ermöglicht eine komplett mobile Arbeitsweise.

Foto von Carola Heilemann-Jeschke

Vor ihrer Berufung zur Abteilungsleiterin Zentrales IT-Management, Digitalisierung öffentlicher Dienste beim Senator für Finanzen der Freien Hansestadt Bremen war Frau Heilemann-Jeschke viele Jahre im öffentlichen Sektor tätig und hat sich mit ihrer ganzen Persönlichkeit der Transformation der Verwaltung und der OZG-Umsetzung verschrieben.

Carola Heilemann-Jeschke
CIO und Abteilungsleiterin für das Zentrale IT –Management und Digitalisierung öffentlicher Dienste beim Senator für Finanzen
Freie Hansestadt Bremen

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