Interview

Adrian Fernandez Mulet und Martina Büttner-Leibovici

Mit welchen Metriken messen Sie die in Ihrem Praxisleitfaden (Wie Behörden mit Online-Bürgerservices überzeugen) beschriebenen Ziele im Bereich Usability und User Experience aktuell?

Eine allgemeingültige Antwort auf die Frage, mit welchen Metriken Usability und Experience gemessen werden sollten, ist für uns schwierig. Für die Messung der Usability ist der Usability-Test bei uns in der Regel das Mittel der Wahl, besonderes Augenmerk liegt auf der für einzelne Aufgaben benötigten Zeit. Im Bereich der User Experience sind hingegen Befragungen das von uns präferierte Mittel. Die Wahl einer geeigneten Metrik setzt jedoch voraus, zunächst einmal Klarheit zu der Fragestellung zu gewinnen: Was wollen wir genau messen? Warum ist das für uns relevant? Welche Art von Daten benötigen wir? Sind wir an quantitativen Daten interessiert? Oder sind qualitative Daten für die konkrete Fragestellung zielführender?

Behörden machen UUX nicht, weil das OZG das so vorschreibt.

Adrian Fernandez Mulet und Martina Büttner-Leibovici
Empfehlungen für die Praxis

Im Bereich der quantitativen Metriken spielen neben der Performance für uns dabei die task success rate, die error rate und die occurence rate als auch standardisierte Fragebögen (z. B. System Usability Scale, Net Promoter Score und Customer Satisfaction) die größten Rollen. Es geht dabei also insbesondere um die folgenden Aspekte: Können die konkreten Arbeitsaufgaben mit der Software gelöst werden, wie viele Fehler treten bei der Arbeit auf, wie häufig treten diese Fehler auf und wie zufriedenstellend bewerten die Benutzer*innen die Interaktion insgesamt? Die besondere Herausforderung bei der Erhebung von derartigen Metriken ist für uns in der Praxis, dass es sich dabei stets nur um eine Momentaufnahme handelt. Die Benutzungsmuster unterliegen – gemeinsam mit den Tools – einem stetigen Wandel. Nur wenn Behörden die Benutzer*innen in regelmäßigen Zyklen befragen, können sie mit diesem Wandel Schritt halten – und neue Trends (beispielsweise die Verschiebung der Gewichte von guten Informationsarchitekturen hin zu effektiven Suchmöglichkeiten) frühzeitig erkennen und adressieren.

Die starke Fokussierung auf den Preis im Rahmen von öffentlichen Ausschreibungen ist dabei nicht unbedingt förderlich für echte Innovationen im Bereich UUX. Unsere digitalen Services sind aufgrund des generierten Mehrwerts unter dem Strich mindestens kostenneutral – in der Regel übersteigt der Nutzen die Kosten sogar um ein Vielfaches. Eine systematische Auseinandersetzung mit dem Return on UUX könnte hier auf lange Sicht für den öffentlichen Sektor zu einer besseren Auswahl von optimal passenden Dienstleistern führen. Im OZG vermissen wir insgesamt stark gute und fachlich fundierte Vorgaben für das wie – sodass bereits jetzt sowohl große qualitative Unterschiede als auch eine Vergrößerung der Bandbreite (statt einer Vereinheitlichung der UUX) erkennbar sind.

Meine Vision ist, dass die öffentliche Verwaltung im Rahmen der Vergabe bei der Auswahl der Dienstleister stärker auf generelle UUX-Reife, einschlägige Referenzen im Themenfeld UUX, Expertise im Bereich des UUX-Consultings sowie die praktischen Erfahrungen in der Einbindung von Benutzern und Benutzerinnen achtet. Im Idealfall sollten in Betracht kommende Dienstleister im Rahmen des Vergabeverfahrens in einem halbtägigen Workshop diese Kompetenzen ganz praktisch unter Beweis stellen. Meine Vision ist, dass der in der Privatwirtschaft größtenteils bereits erfolgte Perspektivwechsel nun auch in Behörden Einzug hält: Die Überzeugung von der Sinnhaftigkeit von Personas muss wachsen, der Mehrwert von Benutzer*innenzentrierung muss Konsens sein, jedes UUX-Projekt muss zum Aufbau der behördeninternen UUX-Kompetenz beitragen und das Bewusstsein für Usability und User Experience muss insgesamt steigen.

Letztendlich muss sich dabei auch das Grundverständnis wandeln: Behörden machen UUX nicht, weil das OZG das so vorschreibt. Behörden bieten nicht irgendeine Leistung digital an, weil das BMI das so will – Behörden machen UUX, weil die Bedürfnisse der Bürger*innen schon seit jeher ein ganz zentraler Teil des Selbstverständnisses der öffentlichen Verwaltung sind. Diese Denkweise ist im Rahmen der Digitalen Transformation etwas in Vergessenheit geraten – eine Rückbesinnung auf diese grundlegende Denkweise, hin zu besserem Service Design, ist jedoch fundamental. Ob Behörden das Themenfeld tatsächlich verstanden haben, zeigt sich dabei nicht an dem, was sie sagen – sondern an dem, was sie tun. Auch weiterhin sind viel Geduld und gute, fachlich fundierte Beratung erforderlich, um Behörden bei diesem langwierigen Weg bestmöglich zu begleiten.

Foto von Adrian Fernandez Mulet

Ich habe als UX/UI Designer bei der Agentur Ole Agency in Madrid gearbeitet. Heutzutage arbeite ich für die USU GmbH als UX/UI Designer & Berater. Unter anderem habe ich für die Putzmeister Holding, Volkswagen, BBBank, Berliner Volksbank und zuletzt für die Verbesserung der USU Produkte gearbeitet.

Adrian Fernandez Mulet
UX/UI Designer & Consultant
USU GmbH

Foto von Martina Büttner-Leibovici

Martina Büttner-Leibovici ist seit vielen Jahren als UX Konzepterin tätig. Sie begleitet die USU in Bezug auf das Thema OZG; dazu entstand Anfang 2021 ein White Paper, gefolgt von einem Webinar für Behörden. Nutzerinterviews und Umfragen sowie Usability Tests gehören zu ihrem Handwerkszeug.

Martina Büttner-Leibovici
Senior UX Concepter and Consultant
USU GmbH

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