Interview

Rüdiger Czieschla

Welche Vorteile ergeben sich für Bürger*innen und Mitarbeiter*innen, wenn Kommunen strukturiert und regelmäßig die Nutzungszufriedenheit messen?

Zunächst einmal möchte ich die Bedeutung dieser Messungen verdeutlichen: Als öffentliche Verwaltung müssen wir verantwortungsvoll mit den uns zur Verfügung gestellten Ressourcen, den uns anvertrauten Steuergeldern, umgehen. Daher ist es erforderlich, dass wir als Behörde die Effekte und Auswirkungen unserer Aktivitäten durch Messungen sichtbar machen. Während meiner gut 20-jährigen Tätigkeit in der Digitalisierung des öffentlichen Sektors konnte ich jedoch beobachten, dass sich insbesondere im Themenfeld UUX auf kommunaler Ebene noch nicht die erhofften Effekte eingestellt haben. Öffentliche Verwaltungen probierten dabei in der Vergangenheit einige zunächst vielversprechende Ansätze, die in der Praxis noch nicht wie erwartet funktioniert haben. In Baden-Württemberg konnte eine gemeinsame Plattform die Probleme beispielsweise nicht lösen, da weder eine Messung der Nutzungsmuster flächendeckend etabliert noch die mobile Nutzbarkeit sichergestellt werden konnte.

(...) aus Benutzer*innen­per­spek­tive können wir das OZG mangels Daten aktuell schlicht nicht bewerten.

Rüdiger Czieschla
Empfehlungen für die Praxis

Wir als Kommune sehen im Themenfeld User Experience gegenwärtig eine Vielzahl von Positionspapieren mit guten, neuen Ideen. Der Begriff Service Design und die damit verbundenen Konzepte etablieren sich langsam auch im öffentlichen Sektor – das ist sehr erfreulich. Zur Wahrheit gehört jedoch auch, dass es sich dabei im Moment fast ausschließlich um wohlklingende Lippenbekenntnisse handelt. Es gelingt uns im öffentlichen Sektor noch nicht, diese Konzepte auch wirklich auf die Straße zu bringen; wir haben hier in Deutschland ein massives Umsetzungsproblem. Für das klassische Verwaltungsdenken ist User Experience dabei ein sehr schwieriges Thema: Die Zieldefinition ist bei den menschzentrierten Methoden vollkommen konträr zu den Ansätzen, die Entscheider*innen in der öffentlichen Verwaltung bisher gewohnt sind. Es geben nicht länger Stakeholder*innen statische Ziele vor, sondern die Bedürfnisse der Bürger*innen spielen die maßgebliche Rolle. Doch mit jeder neuen Entwicklung in der Privatwirtschaft verändern sich damit kontinuierlich auch die Erwartungen an digitale Services der kommunalen Verwaltungen. Kurzum: Die Erfüllung der Bedürfnisse von Bürgerinnen und Bürgern an digitale Technologien ist niemals abgeschlossen – aus dem konkreten Projekt muss sich stattdessen Stück für Stück ein allgemeines Mindset entwickeln.

Aus meiner Sicht sind dabei die gesetzlichen Rahmenbedingungen gar nicht das größte Problem. Um Gesetze in der Praxis überhaupt handhabbar und ausführbar zu machen, nutzen Verwaltungen auch in der analogen Welt bereits den sich ergebenden Interpretationsspielraum; das ist im Digitalen gleichermaßen möglich. Um eine grundlegende Veränderung in Gang zu setzen, sind aus meiner Sicht folgende Dinge wichtig: Wir müssen die Benutzer*innenperspektive ins Zentrum rücken, wir müssen ein einheitliches nationales Interface Design entwickeln, das sich an Marktstandards orientiert. Darauf sollten nur diejenigen Service-Prozesse angeboten werden, welche die Erwartungshaltung der Benutzer*innen wirklich erfüllen. Dazu müssen wir den Nutzungserfolg messen und transparent machen. Ein solches wirkungsgetriebenes Angebot verbessert sich selbst. Backend-Fachprozesse müssen ggf. Echtzeit-Prozessdaten liefern, ohne den Service-Prozess zu beeinträchtigen (Marktplatzprinzip). Angebote, die das nicht leisten können, gehören auf andere Plattformen, denn sie gefährden die Akzeptanz.

Das ist eine Mammutaufgabe; daher ist mein Vorschlag, das Konzept an einfachen Prozessen zu erproben und dann schrittweise auszudehnen. Zum Start können und sollten wir uns hier auf ein oder zwei Prozesse fokussieren. Dabei müssen öffentliche Verwaltungen aber auch über das Interface hinausdenken: In welchen Prozessen gibt es seitens der Verwaltung eigentlich gar keinen Ermessensspielraum? Was lässt sich demzufolge automatisieren? Welche Prozesse brauchen kein – oder nur ein sehr minimales – Interface? Was kann und muss – auch über föderale Strukturen hinweg – in der digitalen Welt standardisiert werden?

Die Umsetzung des OZG ist nach meiner Wahrnehmung leider ebenfalls gescheitert: Ohne Wirkungscontrolling lässt sich am Ende ja noch nicht einmal entscheiden, ob das OZG überhaupt sein Ziel erreicht hat. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Aus rechtlicher Perspektive ist das OZG durchaus ein Treiber der Digitalisierung – doch aus Benutzer*innenperspektive können wir das OZG mangels Daten aktuell schlicht nicht bewerten. Ohne fundierte Daten kein messbarer Erfolg. Hier können wir beispielsweise von Großbritannien lernen, wo diese Daten transparent offengelegt werden.

Meine Vision ist, dass wir Kommunen in Zukunft fertige, nach menschzentrierten Konzepten bundesweit einheitlich entwickelte Produkte über die kommunalen Dienstleister bekommen. Dazu muss der Servicestandard des OZG zum Grundgesetz für alle Entwicklungen werden – und mit menschzentrierten Metriken validiert werden.

Foto von Rüdiger Czieschla

Der studierte Kommunikatonswissenschaftler hat die meisten Jahre in der IT-Wirtschaft verbracht, bevor er IT-Leiter der Stadt Freiburg wurde. Heute arbeitet er im Team digital.freiburg an der Umsetzung der Digitalstrategie der Stadt Freiburg.

Rüdiger Czieschla
Stabsstelle digital.freiburg
Stadt Freiburg im Breisgau

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