Interview

Dr. Daniela Oellers

Welche Rolle spielt das Themenfeld Usability und UX bei dem Projekt zur landeseinheitlichen E-Akte - und wie integrieren Sie diese neue Herangehensweise in Ihre bisherigen Verwaltungsabläufe?

Damit ein komplexes Organisations-Projekt wie die landeseinheitliche E-Akte in Baden-Württemberg erfolgreich durchgeführt werden konnte und die entwickelte Lösung am Ende auch seitens der Beschäftigten akzeptiert wird, waren für dieses Projekt zwei Dinge essentiell: Einerseits gab es bereits seit 2015 eine ressortübergreifende Arbeitsgruppe, in der die Verantwortlichen für die einzelnen Ressort die Anforderungen einbringen konnten – im Ergebnis entstand damals ein Anforderungsdokument im Umfang von ungefähr 180 Seiten. Andererseits definierte nicht die Projektgruppe allein den einheitlichen Standard, sondern beteiligte von Anfang an die Piloten aus den unterschiedlichen Bereichen der Landesverwaltung. Bei diesem Projekt wurden insgesamt sieben Pilotbehörden mit insgesamt 850 Pilotnutzer:innen eingebunden.

Standardisierung hat sich für uns als zentraler Erfolgsfaktor für eine gute Usability von behördlichen Fachanwendungen erwiesen.

Dr. Daniela Oellers
Empfehlungen für die Praxis

Die unterschiedlichen Aspekte im Themenfeld Usability und User Experience lassen sich in einem solchen Projekt nur dann bestmöglich berücksichtigen, wenn parallel zu dem Hauptprojekt auch eine projektbegleitende Evaluation erfolgt. In dem konkreten Beispiel hat das Projekt daher ein Pilotverbesserungsprojekt parallel zur eigentlichen Pilotierung aufgesetzt. Das Pilotverbesserungsprojekt hatte zur Aufgabe, permanent die Anforderungen aus der Behördenpraxis mit dem aktuellen Status Quo in systematischer und aggregierter Form abzugleichen. Doch zur Wahrheit gehört auch: So wichtig ein umfassendes und fundiertes Verständnis für die Erfordernisse und Bedürfnisse der Beschäftigten für moderne Softwareprojekte in der öffentlichen Verwaltung auch ist – ohne eine hinreichende Standardisierung ist die Komplexität dennoch nur schwer in Griff zu bekommen; Standardisierung erleichtert die Umsetzung erheblich.

Die erfreuliche Erkenntnis für uns in dem Projekt war dabei: Dinge, die sich zunächst recht unterschiedlich anhören, lassen sich am Ende häufig ohne größere Herausforderungen durch einheitliche Standards abdecken. Standardisierung hat sich für uns als zentraler Erfolgsfaktor für eine gute Usability von behördlichen Fachanwendungen erwiesen. Wenn wir beispielsweise eine standardisierte Geschäftszeichenbildung etablieren oder die Abbildung von Verwaltungsvorgängen vereinheitlichen, können wir unsere für die Optimierung und Anpassung der Benutzeroberflächen zur Verfügung stehenden Ressourcen deutlich gezielter einsetzen. Entscheidend ist dabei nur, dass wir auf eine hohe Praxistauglichkeit der Standards achten – aber genau zu diesem Zweck haben wir im Rahmen der Pilotierung ja die umfangreichen Erprobungen durchgeführt. Darüber hinaus gehende finanzielle und personelle Ressourcen, um die Gebrauchstauglichkeit der Lösungen – beispielsweise im Rahmen von Usability-Tests – im Detail zu evaluieren, standen uns in diesem Projekt jedoch leider nicht zur Verfügung.

In dem Themenkomplex Usability und User Experience liegt für Behörden nach unserer Wahrnehmung aktuell der Schwerpunkt auf der Usability der Fachanwendung: Das positive Erlebnis wird im beruflichen Kontext maßgeblich durch ein gut zu benutzendes System geprägt. Darüber hinaus gehende positive Emotionen und Assoziationen sind bei einem recht trockenen Thema wie einer E-Akte nicht ganz so leicht – und häufig auch nur bedingt hilfreich. Im Fokus unserer Aufmerksamkeit stand hier daher primär eine positive behördeninterne Wahrnehmung des Projektes, diese Ziele haben wir mit einem eigenen Branding (inklusive Logo, einheitlichem Design, visuelles Design der Präsentationen und eigenem Maskottchen) adressiert.

Für uns hat sich im Behördenalltag jedoch auch gezeigt, dass reine Befragungen der Nutzer:innen noch nicht der perfekte Ansatz sind. Diese führen häufig zu widersprüchlichen Anforderungen, die dann durch das Ministerium als letzter Entscheidungsinstanz aufgelöst werden müssen. Unsere Vision ist, durch einen Ausbau des Anforderungsmanagements – nach Vervollständigung der fehlenden Funktionalitäten – die Passgenauigkeit zwischen unseren Standards und den individuellen Problemen weiter zu verbessern; dies ist insbesondere vor dem Hintergrund der bisherigen Abläufe von ganz zentraler Bedeutung. Eine gebrauchstaugliche Anwendung ist nach unserer Wahrnehmung am Ende diejenige Lösung, die die bestmögliche Balance zwischen einer hohen Standardisierung und einer maximalen Flexibilität findet.

Foto von Dr. Daniela Oellers

Die promovierte Volljuristin Daniela Oellers beschäftigt sich seit 2009 mit der Digitalisierung der Verwaltung. Mit der Einführung der elektronischen Akte in der Landesverwaltung trägt sie wesentlich zur digitalen Transformation innerhalb der Verwaltung bei.

Dr. Daniela Oellers
Referatsleiterin
Ministerium des Inneren, für Digitalisierung und Kommunen Baden-Württemberg

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