Interview

Dr. Oliver Bohl

Welchen Mehrwert bietet die UUX-Perspektive nach Ihrer Wahrnehmung aktuell für die digitale Transformation des öffentlichen Sektors?

Mein Blick auf die Rolle der User Experience im öffentlichen Sektor ist maßgeblich geprägt durch meine frühere Tätigkeit für die KfW. Während dieser Tätigkeit haben sich sehr spannende Entwicklungen in diesem Themenfeld ergeben: Aus einem klassischen Webseiten-Management heraus entwickelte sich ein ganzheitlicheres Verständnis für das Themenfeld der Customer Experience, was im Ergebnis in einem Kompetenz-Center für jegliche UUX-Themen innerhalb der KfW mündete. Den Startpunkt bildete dabei die Beobachtung, dass dieses Themenfeld im privaten Sektor an Bedeutung gewinnt. Hier musste im zweiten Schritt zunächst ein Konsens in Bezug auf die Notwendigkeit eines solchen Teams bei der KfW entwickelt werden. Letztlich war das Intensivieren des Kundenkontakts im weiteren Verlauf einer der wichtigsten Treiber, der dafür sorgte, sich genauer mit dem Thema auseinanderzusetzen.

Einem starken und konsequenten Fokus auf UUX in Bundesbehörden steht häufig die Annahme entgegen, dass Bürger*innen primär mit Kommunen in Kontakt treten.

Dr. Oliver Bohl
Empfehlungen für die Praxis

Einem starken und konsequenten Fokus auf UUX in Bundesbehörden steht häufig die Annahme entgegen, dass Bürger*innen primär mit Kommunen in Kontakt treten. Wenngleich das für einige Bereiche zutrifft, so gilt das nicht für die teils plakativ als Durchführer bezeichneten Organisationen und Behörden, wie beispielsweise die KfW oder die BAFA. Solche auf Bundesebene tätigen Organisationen und ihre UUX-Experten und Expertinnen sind im Moment so etwas wie die Speerspitze; und gerade die aus UUX-Perspektive innovativsten Organisationen sind in der öffentlichen Wahrnehmung bisher wenig präsent: Das Gesicht gegenüber den Bürger*innen sind in der Regel die Bundesministerien – und nicht oder kaum die Durchführer.

Da diese Organisationen und ihre Best Practises noch nicht so gut öffentlich sichtbar sind, werden die prozessualen Potenziale nicht vollständig ausgeschöpft. Das betrifft einerseits die digitalen Plattformen selbst, aber andererseits auch die Förderprodukte. Die Prinzipien des User Experience Designs beschränken sich nicht nur auf die digitale Umsetzung, sondern könnten auch einen wichtigen Beitrag zu bedarfsgerechteren und bürger*innenzentrierten Förderungen leisten – hier gibt es aktuell erste Diskussionsansätze, jedoch noch keine vollständige Durchdringung des Potenzials. Ehrlicherweise müssen wir hier zudem einräumen, dass die aktuellen Förderprogramme schlicht und ergreifend gut genug funktionieren, sodass der Handlungsdruck für echte Innovationen vergleichsweise gering ist.

Nun ist der Mangel an öffentlichen Planstellen im UUX-Bereich nur die eine Seite der Medaille. Wenngleich die öffentliche Verwaltung nun langsam und vorsichtig erste eigene Erfahrungen mit dem Design Thinking sammelt, so trauen sich Mitarbeiter*innen aktuell noch nicht, Benutzer*innen und deren Bedürfnisse konsequent in den Fokus zu stellen. Dabei müssen wir Behörden in der Regel nicht erklären, dass sie sich um ihre Bürger*innen kümmern sollen. Behörden sollten in diesem von Dienstleistern dominierten Themenfeld auch eigene UUX-Expert*innen aufbauen, die in internen Diskussionen als Sprachrohr der Bürger*innen fungieren. An der Schnittstelle zwischen Marketing und Digitalisierung gibt es erste, kleinere Teams, aber diese haben bisher noch keinerlei Gewicht innerhalb der Organisationen. Das ist auch ein Ergebnis der aktuellen Kultur: Die Bundesministerien stellen den beauftragenden Politiker in den Mittelpunkt, und die Durchführer stellen ihrerseits wiederum das beauftragende Bundesministerium ins Zentrum. Wenn sowohl die Wertschätzung der Bedürfnisse der Bürger*innen als auch die Bewertung der Services durch die Bürger*innen zur zentralen Maxime erhoben werden, handelt es sich dabei um einen tiefgreifenden Eingriff in historisch gewachsene Prozesse und Mechanismen. Denn über die Beförderungen der Mitarbeiter*innen der öffentlichen Verwaltung entscheiden die Vorgesetzten – und nicht die Bürger*innen.

Zusätzlich existiert noch ein weiteres Minenfeld: Die Politiker*innen selbst begreifen sich in unserer repräsentativen Demokratie als Sprachrohr der Bürger*innen. Die Perspektive der User Experience stellt die Mechanismen der repräsentativen Demokratie damit durchaus vor grundlegende Herausforderungen: Warum sollte man den Willen der Bürger*innen mühsam mittels User Research herausfinden, wenn man doch die Politiker*innen fragen kann? Meine Vision ist, dass wir den Ausweg aus diesem Dilemma nicht auf der politischen Ebene suchen. UUX wird sich in der öffentlichen Verwaltung etablieren, wenn es mehr und mehr erfolgreiche UUX-Projekte gibt – und diese Projekte gehen auf die Initiative von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen zurück, die mutig neue Wege gehen. Der öffentliche Sektor muss eine ganzheitliche Perspektive auf User Experience entwickeln: Der öffentliche Sektor braucht sowohl mehr Mitarbeiter*innen mit fundierter UUX-Expertise und Nähe zu den Bürger*innen als auch mehr externe Projektpartner*innen mit einem frischen und fachkundigen Blick auf die aktuellen UUX-Herausforderungen des öffentlichen Sektors.

Foto von Dr. Oliver Bohl

Dr. Oliver Bohl gilt als Gestalter innovativer digitaler Kundenerlebnisse. Er ist Geschäftsführer der Triplesense Reply, vorher agierte er bei der KfW, bei Payback, im eCommerce-Startup sowie als Managementberater. Nebenberuflich engagiert er sich als Dozent, Lehrbeauftragter und Autor.

Dr. Oliver Bohl
Geschäftsführer
Triplesense Reply GmbH

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