Interview

Dr. Tobias Plate

Was ist aus Ihrer Sicht erforderlich, dass der öffentlichen Verwaltung der Paradigmenwechsel (von technikzentriert zu menschzentriert) gelingt und der digitale Staat zukünftig Menschen in den Mittelpunkt stellt?

Nach meiner Wahrnehmung ist das aktuelle Problem der öffentlichen Verwaltung nicht ein zu starker Fokus auf die Technik, sondern der zu starke Fokus auf sich selbst; die öffentliche Verwaltung ist selbstzentriert. Eine menschzentrierte Verwaltung ist die Vision für die Zukunft – die entsprechenden Veränderungen passieren nicht auf Knopfdruck. Ein wichtiger Baustein ist nach meiner Wahrnehmung die Labormethode, wie sie beispielsweise im Kontext des Onlinezugangsgesetzes praktiziert wird. Wenn Verwaltungsmitarbeiter*innen direkt und unmittelbar mit den Empfindungen der Bürger*innen konfrontiert werden, kann das einen wertvollen Beitrag dazu leisten, dass sich die Verwaltung stärker als Dienstleister für die Menschen begreift.

Letztendlich müssen wir den Prozess der menschzentrierten Gestaltung (...) auch auf den Gesetzgebungsprozess anwenden.

Dr. Tobias Plate
Empfehlungen für die Praxis

Diese Konfrontation mit den realen Gegebenheiten trägt auf lange Sicht dazu bei, dass neben der Perspektive der Mitarbeiter*innen der öffentlichen Verwaltungen die Perspektive der Bürger*innen stärker berücksichtigt wird. Benutzer*innenzentrierte Qualität wird dabei durch folgendes Konzept möglich: Die digitalisierten Leistungen sollen nach dem Prinzip einer für alle im Rahmen der Kooperation zwischen einem Bundesland und einer Kommune entwickelt und dann allen anderen Kommunen zur Verfügung gestellt werden. Dadurch entstehen Kapazitäten, um auch grundlegendere Fragen zu adressieren – beispielsweise: Wie sehen die idealen Bürger*innenämter aus? oder Wie sollte die Terminvergabe praktisch gestaltet werden?

Für das Thema User Experience ergeben sich dabei drei große Herausforderungen: Viele Aktivitäten in der öffentlichen Verwaltung erfolgen angstgetrieben, User Experience lässt sich nicht am Reißbrett planen und im Gesetzgebungsprozess existiert wenig Designkompetenz. Das zeigt sich aktuell am Beispiel der digitalen Nachweise: Aus UUX-Perspektive braucht nicht jedes Ressort eine eigene App, sondern wir brauchen stattdessen eine Wallet-App für die verschiedensten Nachweise. Hier zeigt sich auch der große Nachholbedarf: Mitarbeiter*innen der öffentlichen Verwaltung müssen viel stärker ermutigt werden, ihre eigenen Ideen konsequent umzusetzen; denn nur dann können wir als öffentliche Verwaltung eine gestaltende Rolle einnehmen. User Experience ist mehr als ein Reparaturbetrieb für digitale Dienstleistungen.

Die gegenwärtige Heterogenität an Lösungen ist – insbesondere, wenn die Rahmenbedingungen gleich oder ähnlich sind – aus meiner Sicht nicht hilfreich. Unabhängigkeit entsteht nicht durch eine größere Menge an potenziellen Anbietern. Die Geschäftsmodelle der Hersteller werden sich ändern und die Schwerpunkte werden sich verschieben: So muss beispielsweise in Zukunft mehr Aufwand in ein einheitliches visuelles Design aller Fachanwendungen investiert werden, denn sowohl die Bürger*innen als auch die Mitarbeiter*innen erwarten seitens der öffentlichen Verwaltung ein konsistentes Interface. Die Digitalisierung ist mehr als der Einsatz von IKT; die Digitalisierung ist ein Anlass für das grundlegende Hinterfragen der Prozesse in der öffentlichen Verwaltung. Dabei müssen wir uns auf die Services fokussieren – und erkennen: Für bestimmte Fragen ist ein persönliches Gespräch der bessere Weg. Doch erst die Digitalisierung schafft die für diese kompetente, persönliche Beratung benötigten Ressourcen.

Meine drei konkreten Empfehlungen, wie der digitale Staat noch menschzentrierter werden kann, lauten daher: Die fachliche Expertise der Mitarbeiter*innen muss heterogener werden – wir brauchen nicht nur Juristen in der öffentlichen Verwaltung. Die Rechtssetzungskompetenz und die Umsetzungskompetenz müssen enger verzahnt werden, um im öffentlichen Sektor erfolgreiche digitale Dienstleistungen entwickeln zu können. In diesem Prozess der Rechtssetzung müssen sowohl die Rechtsunterworfenen – die betroffenen Bürger*innen – als auch die Umsetzenden – die verantwortlichen Verwaltungsmitarbeiter*innen – involviert werden. Letztendlich müssen wir den Prozess der menschzentrierten Gestaltung (human centered design) zukünftig auch auf den Gesetzgebungsprozess anwenden.

Foto von Dr. Tobias Plate

Dr. Tobias Plate ist Leiter des Referats Digitaler Staat in der Abteilung 6 des Bundeskanzleramts. Vor seinem Eintritt in die Regierung absolvierte er sein Referendariat in Düsseldorf. Anschließend war er im Bundesministerium des Innern als Pressesprecher, sowie in verschiedenen Bereichen der Bund-Länder-Zusammenarbeit und in der Verfassungsabteilung tätig.

Dr. Tobias Plate
Referatsleiter Digitaler Staat
Bundeskanzleramt

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